H I L F E , MEINE FRAU IST MUSIKALISCH !
Gestatten Sie eine Frage: Lieben Sie Musik? Ich meine Chormusik. Ein bißchen Swing, ein bißchen Jazz, Volkslieder, Schlager und hin und wieder was Klassisches? Wenn es das ist, was Sie mögen, werden Ihnen die JANSEN SWINGERS gefallen. Aber kommen Sie bloß nicht auf die Idee, bei dieser Truppe Ihre Frau mitsingen zu lassen. Ich warne Sie. Das kann nur jemand wünschen, der nicht weiß, wovon er spricht. Der an der baldigen Auflösung seiner Ehe interessiert ist. Der sich den Zerfall aller liebevollen und freundschaftlichen Beziehungen zu seinem Ehegesponst sehnlichst herbeiwünscht. Woher ich das weiß? Meine Frau ist Sängerin bei den JANSEN SWINGERS.
Was vor Jahren mit einem unterhaltsamen Besuch bei der FOLKGRUPPE NIEVENHEIM – so hießen die JANSEN SWINGERS bis 1988 – begann, ist inzwischen zum Problem Nr. 1 bei uns zu Hause geworden. Was bei anderen das Geld, die Kindererziehung oder die Unordnung im Vorratskeller ist – bei uns ist es die Singerei!
Nehmen wir ein Beispiel: Es war ein Mittwochnachmittag, die Arbeit im Büro war getan, und ich freute mich auf den Feierabend. Auf dem Heimweg kaufte ich noch schnell ein paar Blumen für meine Frau (Orchideen hat sie besonders gern) und überraschte sie schon beim Begrüßungskuß mit der generösen Einladung: „Heute bleibt die Küche kalt – wir gehen essen.“ Die eben noch zu einem Kuß gespitzten Lippen meiner Frau verzogen sich zu einem charmanten aber unübersehbar verlegenen Lächeln. „Aber Schatzilein, doch nicht mittwochs, Du weißt doch … Probe!“ Verflixte Kiste, diese verd… Probe! Wieder ein trostloser Abend vor dem Glotzomobil. Statt opulentem Menü in trauter Zweisamkeit eine Salamistulle auf die Faust.
Und wenn ich mich dann um Mitternacht immer noch einsam in meinem Bett wälze, zum hundertsten Mal mit der qualvollen Frage beschäftigt, wieso man bis zur Geisterstunde Musik und nichts anderes als Musik machen kann, dann beneide ich alle Männer, deren Frauen rettungslos unmusikalisch sind. Aber das alles
ist noch gar nichts gegen die schreckliche Zeit, die vor Konzerten über unsere Familie hereinbricht. Dann bleibt es ja nicht bei der wöchentlichen Probe, sondern jetzt ist tägliches Singen angesagt. Mal eine Probe in kleinen Gruppen, dann mit den Solisten, dann wieder ganz allein (!) mit dem Chorleiter. Und um das ganze dann aufführungsreif zu machen, natürlich nochmal mit allen zusammen. An einem langen Probenwochenende!
Tage und Wochen vergehen, in denen ich meine Frau nur von Bildern her kenne. Und wenn es der Zufall will, daß wir uns doch einmal begegnen, dann wird schon der nahende Auftrittsstreß spürbar („Du liebe Zeit, ich glaub‘, ich werde heiser … was zieh‘ ich nur an? … ein paar Pfunde müssen noch runter, Diät ist angesagt!“). Und weil’s einfacher ist, gleich für alle. Mein Sohn, die Katze und ich, wir schleichen auf leisen Sohlen umher. Nur jetzt die Diva nicht reizen!
Längst haben wir uns daran gewöhnt, nur noch eine kargliche Mahlzeit pro Tag zu bekommen. Nicht nur wir Männer auch die Katze wird dünn
und dünner. Das frisch gebügelte Hemd beschafft täglich abwechselnd die Nachbarin und die Schwiegermutter (diese Frauen finden in der Fürsorge für einen Mann noch ihre Erfüllung). Aber irgendwie haben wir es dann doch geschafft. Der Tag des Konzerts ist da. Meine Frau kann vor Aufregung nichts essen (wir bekommen natürlich auch nichts!). Alle schmeißen sich in Schale, rufen noch schnell Freunde und Bekannte an, denn schließlich sollen die SWINGERS nicht vor leeren Rängen jodeln, und dann geht’s in die festlich geschmückte Aula.
Nun heißt es nicht etwa, ‚ hinsetzen und genießen. Als Kartenabreißer und Saalordner stehe ich Stunden vor Konzertbeginn vor der Saaltür und halte die musikbesessene Schar zurück. Erst eine halbe Stunde vor Beginn öffne ich die Tür. Dem Tod durch Niedertrampeln knapp entronnen, lächle ich freundlich und wünsche allen Eintretenden einen schönen Abend. Der Saal ist gefüllt, das Licht geht aus, natürlich ist für mich wieder mal kein Platz mehr frei. Stehend, nur ca. 3 Meter von den dröhnenden Boxen entfernt, „genieße“ ich das neu einstudierte Programm. Zugegeben, der Probenfleiß hat sich gelohnt, alles läuft wie geschmiert. Beifallswoge um Beifallswoge brandet gegen die Bühne. Die Sängerinnen und Sänger werden zunehmend gelöster. Jede Nummer sitzt und kommt hervorragend an. Pause. Jetzt noch die Presseleute „verarzten“ („Wir haben Ihnen einen Waschzettel vorbereitet, bitte sehr. Wenn es Ihnen recht ist, haben wir eine positive Kritik schon vorformuliert … wie bitte, Sie sind da ganz anderer Meinung?…“). Kaum reicht die restliche Zeit für ein Mineralwasser, müssen die Besucher schon wieder in den Saal gescheucht werden. Der zweite Teil beginnt. Wieder super. Das Publikum tobt vor Begeisterung. Die Zugaben wollen kein Ende nehmen.
Geschafft. Alles strömt raus. In die nächste Kneipe. Musik macht hungrig und durstig. Mich auch. Aber zuerst gibt’s ja noch soviel zu regeln: Eine kurze Manöverkritik, Requisiten verstauen, aufräumen und dies und das und das und jenes. Einsam stehe ich im Foyer herum und warte. Inzwischen knurrt mein Magen ein Solo, das man ohne weiteres ins Programm hätte ein-
bauen können. Mitternacht ist längst vorbei. Endlich kommt meine bessere Hälfte. Abgekämpft, aber glücklich. „Warum machst Du so ein griesgrämiges Gesicht, hat es Dir nicht gefallen? Ohne ein Wort hake ich mein Goldkehlchen unter und steuere zielstrebig die Stammkneipe an, um mir endlich noch ein Gläschen und ein Häppchen zu genehmigen.
Zufällig schnappe ich beim Essen ein paar Gesprächsfetzen zwischen den Chormitgliedern auf… („Die Tanzeinlage müssen wir beim nächsten Mal noch intensiver proben… vielleicht sollten wir demnächst doch lieber zwei Probenwochenenden…“). Mir kann jetzt nichts mehr den Appetit verderben. Bis zum nächsten Konzert ist noch lang hin. Erstmal werde ich meine Frau erneut in unserem gemeinsamen Haushalt anlernen. Bettenmachen, Essenkochen und Wäschewaschen sollen nach und nach wieder in die Hände meiner Frau übergehen. Schließlich habe ich noch einen Beruf, um den ich mich auch mal wieder kümmern muß.
Sie wollen wissen, ob ich schonmal daran gedacht habe, mit meiner Familie weit weg zu ziehen? Wo denken Sie hin? Ich liebe Musik! Und meine Frau! Seit ein paar Tagen bin ich sogar passives Mitglied bei den JANSEN SWINGERS! Ich frage Sie, kann es was Schöneres geben als eine musikalische Frau?!
Ulrich Vesper, 1989 anlässlich des 20 jährigen Bestehens der Folkgruppe Nievenheim / Jansen-Swingers
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